Die Künstlerin Miguela Marie Chervenak
Selbstbewusst, mit Hut und langen, lockigen, blonden Haaren, eine Frau, die man so schnell nicht vergisst – das ist Miguela Marie Chervenak. Geboren in den USA, aufgewachsen in Deutschland, zum Studium der Innenarchitektur und Kunst in London, alles in allem waren es 18 Umzüge zwischen den Kontinenten. Heute lebt sie in Königstein bei Frankfurt, am Ende der Welt, mit Blick auf die Wiesen und den Bauern mit seinen Kühen. Bei ihren Besuchen in der Stadt liebäugelt sie manchmal mit dem Leben im Trubel, aber nur für einen kurzen Moment.
In ihrem Atelier kann sie sich auf die Malerei konzentrieren, auf die Themen, die ihr wichtig sind. Rein äußerlich zeigen ihre Kunstwerke ganz unterschiedliche Stile und scheinen nicht von derselben Künstlerin zu sein. Es geht um Psychisches, dicht gedachte, malerisch komprimierte Themen, mit oft sehr persönlichem und autobiographischem Hintergrund. Begriffe wie Beziehung, Wahrnehmung, Wertschätzung und Achtung verbinden inhaltlich die einzelnen Serien:
Beziehungen
Beginnen wir mir den „Beziehungen“, einer Serie von Gemälden, die sich, in kleinen Gruppen zusammengefasst, Themen des menschlichen Miteinanders widmet. Titel wie Kommunikation, Familie, Freundinnen, Bindungsängste, Unterdrückung oder Trennung geben erste Hinweise auf die künstlerische Auseinandersetzung des Zusammenseins. Aufs Notwendigste reduziert, werden in einer gleichbleibenden Farbpalette aus Grau, Rot, Weiß, Schwarz und Gold mit nur wenigen Strichen und Kreisen die Möglichkeiten analysiert. Dazu werden Leinwand, Öl, Acryl und Blattgold verwendet. Denken wir an Kommunikation, wissen wir aus Erfahrung, dass sie in Abhängigkeit von unserem Gegenüber, manchmal aber auch mit der gleichen Person, sehr unterschiedlich verlaufen kann. Sprachlosigkeit, Einklang oder Weghören werden von der Künstlerin Miguela Marie Chervenak mit reduzierten Formen treffend aufgezeigt. Die Anordnung der Linien, Halbkreise und die Wahl der Farben zeigen, ob die Kommunikation gelingt oder zum Scheitern verurteilt ist. Bei der Trennung geht es wesentlich dynamischer zu. Zickzack Linien stehen für Spannung und Disharmonie, auseinanderführende Linien deuten das sich anbahnende Scheiden der beiden Menschen an.
Bilder in konstruktivistisch-geometrischer Malweise
Einen Gegenpol zu dieser reduzierten Formensprache bilden Miguela Marie Chervenaks Gemälde in konstruktivistisch-geometrischer Malweise. Verantwortlich für diesen Stil ist das Gemälde von Marcel Duchamp „Akt, eine Treppe herabsteigend“ von 1912, das die Kunststudentin faszinierte und das weitere Werk der Malerin prägte. Geometrische Formen – Kreise, Drei- und Vierecke – setzen sich zu einem bewegten Bildgefüge zusammen und füllen die Leinwände bis in den letzten Winkel. Fast könnte man von einem Horror Vacui sprechen. „Im Mittelalter“, „Burgfest“ oder „French Garden in the Summer“ sind einige der Titel, die lediglich einen Anhaltspunkt für das Gezeigte bieten. Mit der Wirklichkeit, wie wir sie kennen, haben diese Bilder in ihrer Fülle an Farbflächen nichts gemeinsam. Die einzelnen Gegenstände werden so stark in geometrische Formen zerlegt, dass die Titel helfen müssen, den Raum und das Geschehen zu entziffern. Mit diesem Wissen erkennt man die streng geometrischen Formen eines barocken Gartens, sieht die bunten Fahnen und Trompeten während eines Burgfestes und das Dach des Zirkuszeltes. Dass es in dieser Welt keine Menschen gibt, versteht sich fast von selbst. Anders ist das bei den Gemälden, die sich mit dem Formel 1 Rennsport auseinandersetzen. Hand in Hand arbeitend, sorgen die „geometrisch- zerlegten“ Techniker dafür, dass der Rennfahrer schnell die Box verlassen kann. Miguela Marie Chervenak beschreibt ihr Anliegen mit folgenden Worten: “Mich fasziniert die Geschwindigkeit, die Dynamik, die Präzision, das Timing während der Boxenstopps, die Strategien der Rennställe in den Rennen und damit der Wettbewerb zwischen den Fahrern und den Rennställen – … genau dies versuche ich in meinen Bildern zu zeigen.“
Hommage an berühmte Frauen
Seit vielen Jahren plant und arbeitet Miguela Marie Chervenak an ihrer „Hommage an berühmte Frauen“. Marie Curie, Elly Beinhorn, George Sand, Maria Nieves, Fanny Hensel, Madame Dubarry, Sophie Scholl und Mutter Teresa verewigte sie bereits in konstruktivistisch-geometrischer Malweise auf der Leinwand.
Jedes Bild hat eine lange Entstehungsgeschichte – von der Idee über die Recherche zu rasch hingeworfenen Skizzen bis zur kompletten, hoch präzisen Planung im verkleinerten Maßstab, meist nur so groß wie ein Blatt Schreibpapier. Dabei verfügt das Gemälde in der Regel über eine beachtliche Größe. 170 x150 cm sind keine Seltenheit. Die Vielzahl der Formen und Farben addiert sich zu einem komplexen Gefüge, in das sich die einzelnen monochromen Flächen in ihrer scharf voneinander abgegrenzten Erscheinung wie selbstverständlich einfügen.
Jedes Gemälde zeigt die Frauen in der für sie typischen Umgebung: Marie Curie in ihrem Labor, das eigentlich nur ein kalter Holzschuppen war, Elly Beinhorn beim Besteigen eines Flugzeuges oder Fanny Hensel in ihrem Musikzimmer, das dem tatsächlichen Raum nachempfunden wurde. Die durch die Künstlerin gewählten Farben passen sich den Frauen und ihren Tätigkeiten an und bilden in jedem einzelnen Bild ein harmonisches Gefüge. So schwingt sich Elly Beinhorn in silbrig-brauner Kluft in ein Flugzeug, das sich vom Himmel in seinen leuchtend blauen Tönen abhebt. Marie Curies Umgebung wirkt, in grau und schwarz gehalten, eher trist und einfach, so wie wir uns ihr Labor sicher vorstellen müssen. Doch auch symbolische Kraft kommt den Farben zu. Das Rot in der Tanzszene von Maria Nieves und Juan Carlos Copes spiegelt die Leidenschaft und die Hingabe des argentinischen Tangos. Vor einem blutroten Hintergrund warten Sophie und Hans Scholl mit Christoph Probst gefasst und tapfer auf den Tod, der sich durch das Fallbeil neben ihnen ankündigt. Am 22. Februar 1943 wurden diese drei jungen Leute für ihren Widerstand gegen Hitler nur wenige Stunden nach dem Gerichtsprozess hingerichtet.
Auffallend ist, dass Miguela Marie Chervenaks Frauen keine Gesichter, in einigen Fällen auch keine Hände oder Füße haben. Laut Aussagen der Künstlerin sind ihr die Physiognomie und das Äußere der jeweilig dargestellten Person nicht wichtig, es kommt ihr allein auf die Leistung der Frauen an. Sie bewundert diese Frauen für ihren Mut, ihre Kraft, ihre Ausdauer und ihren Willen, sich in einer Männergesellschaft zu behaupten, sich zu widersetzen und Regeln zu brechen. Sie möchte mit ihren Bildern jede einzelne von ihnen für ihre außergewöhnlichen Leistungen ehren. Das Fehlen der typischen Gesichtszüge tut dem Ganzen keinen Abbruch, im Gegenteil; denn gerade dadurch werden diese Frauen zu Stellvertreterinnen aller Frauen.
Zeichen und Symbole sind in der Kunst von Miguela Marie Chervenak immer wieder zu finden. Sie geben dem Betrachter Rätsel auf, die es zu entschlüsseln gilt. In jedes ihrer Bilder bindet die Künstlerin Anagramme ein. Sie bestehen aus dem Titel des Bildes, wobei alle Vokale und doppelte Konsonanten weggestrichen werden. Malerisch zusammengesetzt bilden sie kleine Medaillons, die ins Bild integriert werden.
Die Künstlerin legt neben dem gedanklichen und künstlerischen Hintergrund großen Wert auf die handwerkliche Ausführung. Nach Beendigung des künstlerischen Schaffensprozesses setzt sie einen Schlusspunkt durch den von ihr gefertigten und auf das Kunstwerk in seiner Farbigkeit abgestimmten Rahmen.
Juli 2016
Dr. Bettina Broxtermann
Miguela Marie Chervenak – the Artist
Self-assured, wearing a hat and with long, curly, blonde hair, Miguela Marie Chervenak is a woman you won’t forget in a hurry. Having been born in the US, raised in Germany and studied Interior Design and Fine Art in London, she has moved 18 times in total jumping between continents. Today, she lives in Königstein near Frankfurt, in the back of beyond with views of meadows and farmers tending to their cows. On her visits to the city, she sometimes fancies having a life of hustle and bustle for herself – but only for a fleeting moment.
In her studio, she can concentrate on painting and the subjects that are important to her. From a purely outward perspective, her works demonstrate very different styles and don’t appear to be the creations of the same artist. They center on psychological, deeply thought through, picturesquely condensed subject matters, often with a very personal and autobiographical background. Concepts such as relationships, perception, appreciation and respect connect the content of the individual series:
Relationships
Let’s start with “Relationships” – a series of paintings, organized in small groups, that addresses topics of human interaction. Titles such as Communication, Family, Friends, Fear of Commitment, Oppression and Separation give the first indications of the artistic examination of togetherness. Reduced to the bare essentials, the possibilities are analyzed in a consistent color palette of gray, red, white, black and gold and with just a few strokes and circles. Canvas, oil, acrylic and gold leaf are used too. If we think about communication, we know from experience that it can vary a great deal depending on who we’re talking to and – sometimes – even with the same person. The artist Miguela Marie Chervenak accurately illustrates speechlessness, harmony and not listening with reduced forms. The way that the lines and semi-circles are arranged and the choice of colors show whether communication is succeeding or doomed to failure. A far more dynamic approach is taken in the pieces depicting separation: zig-zags represent tension and disharmony, while divergent lines foreshadow the two people’s imminent separation.
Works in a Constructivist-Geometric Painting Style
Miguela Marie Chervenaks paintings in a constructivist-geometric style are polar opposites of this reduced design language. This style is heavily influenced by Marcel Duchamp’s 1912 work “Nude Descending a Staircase”, which fascinated Chervenak as an art student and later shaped her work as an artist. Geometric shapes – circles, triangles and squares – combine to create an animated composition and fill every last inch of the canvas. You could almost describe the style as a case of horror vacui. “In Medieval Times”, “Medieval Festival” and “French Garden in the Summer” are some of the titles that only offer the observer a starting point for the work. With their abundance of colored areas, these works have nothing in common with the reality we all know. The individual objects are so heavily fragmented into geometric shapes that the title provides much-needed assistance in deciphering the setting and events. Armed with this knowledge, you recognize the strictly geometric shapes of a baroque-style garden, with the colorful flags and trumpets of a medieval festival, as well as the roof of a circus tent. It’s almost self-evident that there are no people in this world. But this isn’t the case in other works that deal with Formula 1 racing. Working hand in hand, the “geometrically fragmented” engineers make sure that the racing driver can leave the pits quickly. Miguela Marie Chervenak describes her objective with the following words: “I’m fascinated by the speed, the dynamics, the precision and the timing during pit stops, the race teams’ strategies in the races and, thus, the competition between the drivers and the race teams – … that’s exactly what I’m trying to depict in my works.”
Homage to Famous Women
Miguela Marie Chervenak has been planning and working on her “Homage to Famous Women” for many years. She has already immortalized Marie Curie, Elly Beinhorn, George Sand, Maria Nieves, Fanny Hensel, Madame du Barry, Sophie Scholl and Mother Teresa on canvas in the constructivist-geometric painting style.
Each and every work has a long development history – from the idea, over the research and quickly created sketches, to complete, high-precision small-scale plans that are only the size of a piece of writing paper in most cases. Generally speaking, the paintings themselves are a substantial size. Pieces measuring 170 x 150 cm aren’t uncommon. The multitude of shapes and colors combine to create a complex structure.
Still, the clearly separate, individual monochrome areas naturally blend into each other.
Each painting depicts the women in their typical surroundings: Marie Curie in her laboratory, which actually was just a cold, wooden shed; Elly Beinhorn climbing into an airplane; and Fanny Hensel in her music room, which is based on the actual room she used. The colors selected by the artist adapt to the women and their activities, creating a harmonious structure in every single piece. Take Elly Beinhorn, for instance, depicted in silver-brown clothing, jumping into an airplane set apart from the bright, blue shades of the sky. The grays and blacks of Marie Curie’s surroundings appear rather somber and modest, as we imagine her laboratory must have been. But these colors also have symbolic power. The red in Maria Nieves and Juan Carlos Copes’ dance scene reflects the passion and commitment of the Argentine tango. Against the backdrop of a blood-red background, Sophie Scholl, Hans Scholl and Christoph Probst are composed and brave as they face the death by guillotine they have been sentenced to. These three young people were executed on February 22, 1943, for their resistance against Hitler just a few short hours after their trial.
What is striking is that the women in Miguela Marie Chervenaks works have no faces, often no hands or feet. The artist maintains that the depicted person’s facial features and outward appearance are not important to her. All she is interested in is these women’s achievements. She admires these women for their courage, their strength, their perseverance and their will to assert themselves in a male-dominated society, to make a stand and to break the rules. She would like to honor each and every one of these women for their extraordinary achievements through her works. The lack of typical facial features does not spoil the works as a whole. Quite the contrary, in fact, as it means these women can become representative of all women.
Signs and symbols can be found in Miguela Marie Chervenaks artwork time and time again. They provide the observer with puzzles to solve. The artist incorporates anagrams into each piece of work. They are made up of the work’s title, with all the vowels and double consonants removed. She creates small medallions, combined in a picturesque way, that are integrated into the piece.
In addition to the conceptual and artistic background, Chervenak attaches a great deal of importance to manual workmanship. After completing the artistic creative process, she concludes by setting the work in a frame made by herself and coordinated to the piece of artwork in terms of coloring.